Diskussion:Resilienz (Soziologie)
Resilienz und Redundanz
[Quelltext bearbeiten]@Hnsjrgnweis: "hier sind keine technischen Redundanzen gemeint, sondern soziale Rückversicherungsmechanismen z.B. in sozialen Netzwerken" - In Redundanz werden im Prinzip zwei verschiedene Aspekte behandelt:
- Informatorische Redundanz, gewisse Informationen sind doppelt vorhanden (Informationstheorie, Kommunikationstheorie, Kryptologie, Überbestimmung)
- Physische Redundanz, gewisse Strukturen sind doppelt vorhanden
Letzter Punkt wurde nunmal Redundanz (Technik) genannt, aber im Abschnitt Resilienz (Soziologie)#Definition und Theorie ist genau dies gemeint:
Konsolidierungs- und Konservierungsphase („conservation“): Diese Phase ist durch Steigerung der Effizienz des Systems charakterisiert; Redundanzen werden beseitigt, die interne Engkopplung und das Ausmaß der internen Integration steigen.
Das System ist hier kein datenverarbeitendes System, sondern ein physikalisches System mit Strukturen zum Anfassen, die natürlich hier im Rahmen einer gesellschaftlichen Funktion betrachtet werden. Mit der Beseitigung von Redundanzen ist zum Beispiel gemeint, das funktionale Einheiten zusammengefasst werden und damit effizienter, mit geringeren variablen Kosten aber auch geringerer Flexibilität arbeiten. Wenn möglich, soll man nicht auf eine Begriffsklärungsseite verweisen, sondern sich den Artikel rauspicken, der dem Zusammenhang am besten entspricht. Das ist hier die physische Redundanz, die Verlinkung auf die BKS hilft nicht viel, sie verwirrt eher. --Gunnar (Diskussion) 15:08, 1. Nov. 2019 (CET)
- Hallo, ein sozioökonomisches System ist nur in Einzelaspekten ein materielles System. Redundanz wird z.B. beseitigt durch den Übergang einer segmentären zu einer stärker funktional organisierten Gesellschaft, z.B. durch stärkere Arbeitsteilung. Aber wenn du möchtest, stell deine Änderung wieder her.--Hnsjrgnweis (Diskussion) 15:33, 1. Nov. 2019 (CET)
- Solange kein Spezialartikel zur sozioökonomischen Redundanz existiert, finde ich in der Tat die technische Redundanz nah genug dran, um von hier verlinkt zu werden. Ich finde sogar, dass man den Technikartikel eher etwas breiter fassen sollte, damit redundante Strukturen auch aus der Nichttechnikwelt ein Zuhause haben, als einen neuen, eng verwandten Artikel zu schreiben, der größtenteils redundante Informationen liefert.
- Beispiel für die sozioökonomische Redundanz: früher hat jeder Bauernhof oder Weiler einfaches Werkzeug gehabt, um Schuhe zu fertigen. Als dann die Ledererzeugung und Schumachermeister in den Städten konzentriert wurden, gabe es Spezialisten, die sich rund um die Uhr um diese Aufgabe kümmerten, und nicht nur im Winter während der Saure-Gurken-Zeit. Damit wurde die Schuproduktion effizienter und damit billiger, nicht nur wegen des spezialisierten Ausrüstung, sondern auch der Erfahrung wegen. Die Resilienz des Gesamtsystems nahm aber aber ab, weil der Ausfall der zentralen Werkstatt (z.B. durch ein Feuer) im Umland der Stadt zu einer Schuhknappheit führte. Gleiches gilt für die Nahrungsmittelproduktion: in Irland hat die Kartoffel höhere Erträge geliefert als Getreide, darum konnte man mit der effizienteren Kartoffelproduktion eine größere Bevölkerung ernähren. Allerdings nahm auch die Resilienz ab: durch die Kartoffelfäule wurde die Hauptkalorienquelle stark getroffen und die Bevölkerungszahl nahm durch Verhungern und Emigration auf die Hälfte ab. --Gunnar (Diskussion) 18:08, 1. Nov. 2019 (CET)
Kollaps von komplexen Strukturen
[Quelltext bearbeiten]Inwieweit kann man die Arbeiten von en:Joseph Tainter „The Collapse of Complexe Societies“ [1] [2] hier in den Artikel einfließen lassen? --Gunnar (Diskussion) 15:08, 1. Nov. 2019 (CET)
- Ja, ich bemühe mich mal darum. Oder hast du dazu etwas parat?--Hnsjrgnweis (Diskussion) 16:07, 1. Nov. 2019 (CET)
- Tainters allgemeines Modell einer schnellen Komplexitätsreduktion (= Kollaps) sieht wie folgt aus: Komplexitätsaufbau ist kein Selbstzweck, sondern ist eine Problemlösungstechnik. Komplexere System sind performanter als einfache Systeme. But: there is no free lunch; komplexe Systeme haben höhere Kosten, am Ende sind sie mit Energie zu bezahlen. Der dominierende Staat Europas vor 2000 Jahren, das Römische Reich, musste z.B. das stehende Heer und die Verwaltung in Form von Nahrung (kumulierte Sonnenenergie) bezahlen, um zahlreiche Legionen, Steuereintreiber und Verwaltungsbeamte durchzufüttern. Er führt das Kollabieren komplexer Gesellschaften auf den abnehmenden Grenznutzen von zunehmender Komplexität zurück. Die großen Verbesserungen mit wenig Kosten werden mit den Zeit erschlossen, die low hanging fruits sind irgendwann alle gepflückt. Dann bleiben nur noch die teuren Optionen, die nur wenig bringen übrig. Schließlich geht der Nettonutzen gegen Null bzw. wird negativ. Damit hat das System zu wenig freie Reserven übrig, um auf ungeplante Herausforderungen adequat reagieren zu können. Der Puffer an Problemlösungskapazitäten schrumpt und die Resilienz nimmt ab, so dass am Ende ein Kollaps das erzwungene Resultat ist, da simplere Systeme weniger Kosten verursachen. Hier ist noch ein Paper zum Thema [3] und ein Vortrag auf Englisch [4]. --Gunnar (Diskussion) 23:06, 1. Nov. 2019 (CET)
Hallo Gunnar, vielen Dank für den Impuls. Jetzt verstehe ich den Einwand von neulich besser: du betrachtest tatsächlich auch die physisch-energetischen Strukturen, während ich nur an kommunikative und soziale Netzwerkredundanz gedacht habe. Eben Wi-Ing-Denken gegen "reine" Soziologie. Das Thema von Tainter treibt mich auch um, aber es wäre vielleicht beim Lemma Komplexität besser aufgehängt. Der Zerfall der räumlich weit ausgreifenden, hochkomplexen Handelskulturen und Reiche der Bronzezeit mit ihrer extremen sozialen Ungleichheit und ihren hohen Kontrollkosten (sie mussten sich ihr Zinn aus Cornwall oder Afghanistan und Kupfer aus Zypern organisieren und die Handelswege zumindest indirekt beherrschen) wäre ein anderes Beispiel für eine rasche Folge solcher Kollapse um 1100-800 v. Chr.: die dezentralen eisenzeitlichen Kulturen waren weitaus resilienter, jeder Dorfschmied konnte mit einem Renneisenofen Schwerter herstellen. Vielleicht ist das die Zukunft der heutigen globalisierten Handelsstrukturen mit ihren hohen Transport-, Transaktions- und Sicherherheitskosten (Horn von Afrika, Golfregion usw.). Oder die überkomplexen, anfälligen und teuren Versorgungssysteme der modernen Großstädte, an deren Rändern bereits wieder einfache parasitäre aber effiziente Formen der Subsistenzwirtschaft wuchern (Raub, Stromklau, Anzapfen des Internets, was ich in Brasilien beobachtet habe) ... Vermutlich ist eine Grenznutzenbetrachtung bzw. die 80:20-Regel auch bezüglich des Digitalisierungsbooms angebracht, der gegenwärtig zu einer Vielzahl hochriskanter Investitionen führt. Gruß, --Hnsjrgnweis (Diskussion) 09:53, 2. Nov. 2019 (CET) Allgemeiner: Mit der Verfügbarkeit oder Erschließung neuer billiger Energiequellen sinkt der Vorteil komplexer organisatorischer Einheiten, während deren Komplexitätskosten schließlich untragbar werden.--Hnsjrgnweis (Diskussion)
- Habe gerade das Lemma Joseph Tainter mit Links zu Morris Berman sowie zu Leopold Kohr angelegt. Die komplexitätstheoretischen Betrachtungen im Details sollten wir in Komplexes System einbauen.--Hnsjrgnweis (Diskussion) 12:02, 2. Nov. 2019 (CET)
PS: Beim Römischen Reich fällt mir auch die EU ein.--Hnsjrgnweis (Diskussion) 12:06, 2. Nov. 2019 (CET)